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Liebe Patientebesitzer,

So gut wie jeder Pferdebesitzer ist über die Gefahr von Jakobskreuzkraut informiert. Und nachdem sich gerade letztes Jahr aufgrund der Witterung die Fälle von „Hahnentritt (Australian stringhalt)“ massiv häuften ist auch die Bedrohung durch Ferkelkraut besser bekannt.
Weitestgehend unbekannt ist jedoch noch die Graukresse (Berteroa incana) ein Kreuzblütlergewächs, was immer häufiger zu finden ist. Während es frisch meist stehen gelassen wird, sortieren die Pferde es im Heu selten aus.
Wie bei allen Giftpflanzen: die Menge machts!

Anlass für meinen Beitrag ist ein Patient aus dieser Woche.
Ein 37 jähriger (!) Warmblut Wallach wurde hochgradig lahm auf der Koppel gefunden. So einiges habe ich ja schon gesehen, aber dieses Pferd kreierte in mir den Begriff „fest stehend“ analog zu fest liegend – mit drei Mann war er nicht einen halben Meter zu einer Bewegung zu überzeugen. Eine Lahmheitsuntersuchung also völlig unmöglich. Einzig auffällig in der allgemeinen Untersuchung war die erhöhte Herzfrequenz von 64/min – ein Schmerzgeschehen also deutlich. Keine Ödeme, Kreislauf unauffällig.

Ein Pferd ohne Diagnose einzuschläfern ist hart – aber manchmal unumgänglich. Er fraß aber und trank, sodass wir mit den Besitzer entschieden Blut zu nehmen und ihn maximal mit Schmerzmitteln abzudecken. Sollte er bis zum Morgen nicht deutlich besser sein so war dieser Zustand des nicht Hinlegens und nicht Weichen könnens sicher nicht hinnehmbar für ein Fluchtpferd. Spricht aber Tierschutzrechtlich nichts dagegen so bekommt bei mir auch jedes alte Pferd zumindest eine Chance, sofern die Prognose nicht klar infaust und der Leidensdruck zu groß ist. Denn Alter ist keine Krankheit!
Zu diesem Zeitpunkt war ich mir zugegeben nicht sicher, was das Pferd hatte. Den Verdacht der Graukresse äusserte ich, jedoch kenne ich diese Patienten mehr mit Ödemen an den Beinen und Apathie.

Am nächsten Morgen kam dann das Blut und der Verdacht einer Vergiftung wurde konkreter. Zwei Pferde im selben Stall waren wohl im vergangenen Jahr ebenfalls unspezifisch schwer krank. Der alte Wallach zeigte am nächsten Tag nach der hohen Dosis Schmerzmittel eine deutliche Besserung – er lief wieder mit der Herde, gab alle vier Füße und der Puls war deutlich gesunken. Mitlerweile verlagerte er das Gewicht der Beine allerdings wechselnd („shiften“) und zeigte eine beginnende Rehesymptomatik. Wir entschlossen von Tag zu Tag zu entscheiden, wie es weiterging und erweiterten die Therapie neben Schmerzen auf die Rehesymptomatik. Bei stetiger Besserung war der Zustand für einige Tage vertretbar, dauerhaft jedoch definitiv nicht. Am Abend dann rief mich die Besitzerin an: sie hatten nach Suche grosse Mengen Graukresse im Heu gefunden, genau an der Heustelle, an der er meist fraß.

Von Tag zu Tag bessert sich nun der Zustand und ich bin guter Dinge, dass der alte Herr, der sonst übrigens sehr gut aussieht, wieder ganz genesen wird. Heute galoppierte er schon wieder über die Koppel 😀 Gestern zeigten 4 weitere Pferde der Herde nun akute Lahmheit und Beinödeme (die er nicht aufwies).

Ein Apell an dieser Stelle an alle Stallbesitzer: keiner kann etwas dafür, wenn zugekauftes Heu Giftpflanzen enthält und auch auf den eigenen Weiden kann dies vorkommen. Das sind die unangenehmen Seiten der Natur. Entscheidend ist, wie man bei Kenntnisnahme damit umgeht!

Leider ist es fast immer der Fall, dass Stallbesitzer trotz eindeutiger Beweise den Umstand „Giftpflanze“ vehement leugnen. Tatsächlich ist „Vergiftung“ eine gern gesehene Modediagnose, insbesondere von nicht-tierärztlichen „Therapeuten“, wenn man eigentlich nicht weiter weiß. Denn sie nimmt dem Besitzer die Verantwortung für ein Verschulden, daher hören alle Seiten dies gern – es ist dramatisch und vor allem auch gut auf Social Media zu teilen. Sucht man aber genauer findet man bei ca. 60-80% von kranken Tieren eine andere Ursache als eine Vergiftung. Bis ich also dies diagnostiziere, muss ein klarer Beweis vorliegen. Vorher ist immer Zurückhaltung geboten!
Wenn jedoch offensichtlich im Heu auf der Koppel grosse Menge Graukresse zu finden sind bei entsprechender Symptomatik, dann macht mich ein Leugnen im Interesse der Pferde sauer. Denn dann muss man Hand in Hand arbeiten um den Pferden bestmöglich zu helfen

Zusammenfassend können folgende Symptome einzeln oder kombiniert auftreten:
Apathie, Ödeme (vor allem an den Beinen), vermehrte Wärme, fühliges Laufen, Bewegungsunlust und Steifheit, Fieber, Futterverweigerung, Pulsation der Beine -Shiften (Rehesymptomatik), erhöhte Pulsfrequenz (Schmerzbedingt)

Auch wurden schon Fehlgeburten mit Graukresse in Verbindung gebracht. Ein Versterben ist bei der Aufnahme grosser Mengen ebenfalls möglich, wenn auch selten.

Eure Lena Bollinger